Stadt der
Technologien
Durch ihren Standort im Ostdelta ergaben sich für die Ramsesstadt ganz eigene Bedingungen, aber auch besondere Möglichkeiten: Bestimmte Materialien oder Produkte wurden direkt vor Ort hergestellt, da eine Beschaffung aus anderen Bereichen des Landes zu aufwendig gewesen wäre. Die Nähe zu den Nachbarländern beförderte zudem einen intensiven Austausch von technologischem Know-how.
Panzerschuppe aus Bronze (FZN 86/0709). Foto: Robert Stetefeld. © Qantir/Pi-Ramesse-Projekt.
Glas
Der Werkstoff Glas galt in der Ramsesstadt als Luxusgut, auf den nur ausgewählte Personen Zugriff hatten. In der Zeit Ramses‘ II. war Glas ein Hightech-Material, das nur wenige Werkstätten vor Ort mit hochspezialisierten Handwerkern herstellen und verarbeiten konnten.
Um der Frage nachzugehen, welche Rolle Pi-Ramesse in der Glasproduktion und -verarbeitung spielte, wurde 1993 Thilo Rehren, ein ausgewiesener Experte für antikes Glas, hinzugezogen. Er beschäftigte sich über 10 Jahre mit dem Material aus Qantir und kam zu dem Ergebnis, dass in der Ramsesstadt Glas aus Rohstoffen hergestellt worden war. Die weißen Quarzkiesel lieferten das notwendige Silikat, während die Nähe zur Bronzeproduktion den Zugriff auf färbende Metalloxide ermöglichte. Die Keramikfragmente erwiesen sich als Tiegel zum Schmelzen der Bestandteile, während die Schlacken Abfälle der Glasherstellung darstellen.
Vom Kieselstein zum Luxusgut: Spätbronzezeitliche Glasherstellung (1500-1200 v. u. Zt.)
Prof. Thilo Rehren, ein Spezialist für technologische Fragen in der Archäologie, berichtet, wie er mit Edgar B. Pusch in der Ramsesstadt der spätbronzezeitlichen Glasherstellung auf die Spur kam. Anhand von weißen Kieselsteinen, die dort gefunden wurden, konnten bestimmte Abläufe der Glasproduktion und -bearbeitung rekonstruiert werden.
Schönes aus Fayence
für Pi-Ramesse
„Die (Stadt) mit hübschen Fenstern und
leuchtenden Toren aus Lapislazuli und Türkis“

Die Ramsesstadt wird in einer Reihe von Texten für ihre Großartigkeit und Schönheit gepriesen. So auf dem Papyrus Anastasi III:
„Du hast Pi-Ramesse befestigt, (am) Anfang des Auslands, (am) Ende Ägyptens, mit den Fenstern schön und den Brüstungen(?) strahlend von Lapislazuli und Türkis, Trainingsplatz deines Streitwagenbataillons, Sammelplatz deines Heeres, Heimathafen deiner Marinesoldaten, die dir Tribute ausliefern.“
Als besonders erwähnenswert empfand man offenbar, dass einige Bereiche repräsentativer Gebäude mit einer leuchtend blauen und grünen Dekoration versehen waren. Für die farbige Gestaltung war ein wesentlich günstigerer, einfacher zu verarbeitender Werkstoff verwendet worden, der aber – aufgrund seiner Farbintensität und Leuchtkraft – auch in der ägyptischen Sprache mit den Schmucksteinen gleichgesetzt wurde: Fayence.
Fayence wurde in der Ramsesstadt in eigens dafür vorgesehenen Werkstätten hergestellt. Dazu wurden feiner Sand oder zermahlene Quarzkiesel mit Natron oder Pflanzenasche als Alkalilieferant versetzt, die dann beim Brand eine Glasur an der Oberfläche bildeten. Metalloxide, die vor allem aus bestimmten Mineralen gewonnen wurden, z. T. aber auch als Nebenprodukte der Metallproduktion anfielen, sorgten für die unterschiedliche Farbgebung der Endprodukte, die von Grün, Türkis und Blau über Schwarz, Braun, Rot und Gelb bis hin zu Weiß reichte.
Die Grundmasse wurde unter Zugabe von Wasser geknetet und dann per Hand, in Modeln oder über Holzstücken geformt. Die Farbe vermischte man entweder schon mit der Masse oder trug sie als gesonderte Schicht auf die Oberfläche auf. Die „Rohlinge“ mussten einige Stunden trocknen, bevor sie in Öfen gebrannt wurden und ein glasartiges Endprodukt ergaben.
Für eine mehrfarbige Gestaltung wurden Vertiefungen in die Oberfläche eingearbeitet, in die andersfarbige Glasurmassen eingespritzt oder Elemente aus weiteren Materialien, wie Kalzit-Alabaster, eingesetzt wurden. Teilweise wurde der Grund vor dem abschließenden Brand bemalt.
„Best of
Heavy Metal“
Internationaler Handel, Ideentransfer
und Recycling in der Ramsesstadt
Das wichtigste Metall im Ägypten der Zeit Ramses’ II. war zweifellos Bronze – eine Legierung aus etwa 90 % Kupfer und 10 % Zinn, die für die Herstellung von Gefäßen, Statuen und vor allem Waffen jeglicher Art verwendet wurde.
Bereits Anfang der 1980er Jahre wurde während der ersten Grabungen im Gebiet der Ramsesstadt eine große Anlage entdeckt, in der die Produktion von Bronze in industriellem Umfang möglich war. Hier konnten offenbar innerhalb kürzester Zeit einige 100 kg Metall geschmolzen und verarbeitet werden.
Im Kontext der Spätbronzezeit (1500‒1200 v. u. Zt.) bedeutet die zunächst gar nicht so groß erscheinende Menge von 100 kg Bronze jedoch entweder 10.000 bis 20.000 Pfeilspitzen von jeweils 5 bis 10 g Gewicht, 400 Dolche von etwa 250 g oder 250 Trensen von 400g.
Die große Nachfrage an benötigten Materialien sorgte dafür, dass sich die Stadt einem riesigen überregionalen Handelssystem anschloss: Das Kupfer kam – Analysen zufolge – aus Zypern, Griechenland oder vom Sinai. In einem Fall gibt es sogar Hinweise darauf, dass zumindest gelegentlich Kupfer aus dem Oman verwendet wurde. Die Herkunft des Zinns ist deutlich schwerer nachzuweisen. Zinn-Analysen aus ungefähr zeitgleichen Kontexten im Ostmittelmeerraum sprechen für einen Import aus entlegenen Gebieten wie Tadschikistan, Spanien, Cornwall in Großbritannien oder dem Erzgebirge in Deutschland.
Für einen internationalen Transfer, nicht nur von Materialien, sondern auch von Ideen, Techniken und Verfahrensweisen, spricht der Fund von Modeln aus Stein, die zum Formen von Metallbeschlägen für Schilde eingesetzt wurden. Diese Model belegen eine Produktion von Schilden in der charakteristischen Form der hethitischen Schilde. Dies wiederum spricht für einen engen technologischen Austausch, der vermutlich in die Jahre unmittelbar nach dem Friedensschluss zwischen Hethitern und Ägyptern fallen dürfte.
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